Montag, 27. Juli 2009

Familienbande

.

Die kleine Familie um Ionesco, Violetta, ihrer beider Sohn Ilias und Isabeau lebte ihr Leben in Peridian. Urgroßmutter Caballera hatte schon längst ihren Frieden gefunden und auch die Zeit von Iberian und Aurora näherte sich ihrem Ende.
Peridian war zu einer wunderschönen, blühenden Stadt herangewachsen, in der der Name Lanilor hoch angesehen war. So wurden schließlich die Beerdigungen von Iberian und Aurora von der gesammten Stadt mit großer Trauer begleitet und ihre Gräber später oft besucht. Zu ihren Ehren ließ man sogar eine Statue auf dem Marktplatz errichten. Man wollte sich der größten Wohltäter Peridians immer erinnern.

In der Zwischenzeit ereignete sich in einem nicht allzu weit entfernten Landstrich ein furchtbares Verbrechen. Zwar wurde der Täter nie auch nur beschuldigt, doch dies lag vermutlich daran, dass niemand sich eines Verbrechens bewusst war.... und es auch gar nicht sein wollte....
Außer natürlich dem Opfer. Denn für die arme, junge Frau, die diesem Verbrechen zum Opfer viel, änderte sich von einem Tag auf den anderen ihr komplettes Leben!
Die junge Frau hieß Seraphine Tashbaan und war Feldarbeiterin auf einer der großen Plantagen der Familie De Raziel. Sie war ein hübsches Mädchen, zierlich und wohl geformt. Ihre fast pechschwarze Haut war geschmeidig und ohne Makel. Sie zog oft die Blicke der männlichen Arbeiter auf sich, doch ihre Aufmerksamkeit galt immer nur Franzuars De Raziel, dem einzigen Sohn des Herrschaftshauses.
Franzuars war... ein verwöhnter junger Mann. Ihm wurde Zeit seines Lebens jeder seiner Wünsche erfüllt. Er hatte Geld, war gut aussehend und ein Draufgänger. Seine Leidenschaft gehörte den Pferden... und den Frauen. Jeden Tag ritt er auf dem Weg zu seinen Freunden an dem Feld entlang, auf dem Seraphine arbeitete. Diese Augenblicke waren stets Momente des Glücks für die unerfahrene Schönheit.
Eines Tages jedoch zerbrach ihre wunderschöne Welt. Am Abend eines anstrengenden Arbeitstages, als es bereits dunkel war, ging sie wie immer auf dem Reitpfad nachhause, als sie plötzlich Hufgetrappel hinter sich hörte. Sie drehte sich mit pochendem Herzen um und sah wie der junge Herr herangaloppierte. Er war ohne Zweifel sehr betrunken und steuerte direkt auf sie zu. Mit zunehmender Nähe bekam sie Angst durch das wilde Pferd verletzt zu werden und versuchte wegzulaufen. Doch natürlich war das Tier schneller und bald hatte es sie eingeholt. Franzuars hob sie im Vorbeireiten auf seinen Sattel und brachte sie schreiend, zitternd und um sich schlagend zu einem stillen Schuppen, abseits aller Felder. Dort angekommen verging er sich an ihr, bevor er erschöpft, aber ungerührt zu seinem Elternhaus zurück ritt. Sein Opfer ließ er in der Scheune zurück.
Seraphine erlitt keine sichtbaren Wunden, aber ihr Lebenswille war gebrochen. In dieser feudalen Welt hatte sie keine Chancen auf Gerechtigkeit. Die De Raziels waren die mächtigste Familie weit und breit, weswegen ihr niemand ihre Geschichte glaubte, oder glauben wollte. Schlimmer noch. Als sich herausstellte, dass diese furchtbare Nacht nicht ohne Folgen geblieben war, wurde sie beschimpft und aus der Stadt vertrieben. Die Bewohner wollten keine „Lügnerin“ und „Herumtreiberin“ in ihrer Mitte haben. Aber sie fürchteten auch um ihr eigenes Wohl, sollten die Herrschaften erfahren, dass sie dem Mädchen Unterschlupf gewähren, das den Namen De Raziel verunglimpft.
So verließ Seraphine ihren Heimatort und begab sich auf eine lange Wanderung. Verwandte hatte sie keine mehr, weswegen es ihr noch nicht einmal Leid tat alles hinter sich zu lassen. Doch ihr Weg war beschwerlich, mit Hindernissen, die sie mehr als einmal veranlassten zu wünschen sie würde sterben. Aber solchen Phasen folgte auch wieder Sonnenschein. Es begegneten ihr Menschen, die sie freundlich aufnahmen, ihr zu Essen gaben und sie aufheiterten. Menschen, die ähnliche Schicksale teilten oder einfach einem Traum folgen, gesellten sich zu Seraphine und erzählten ihr von Peridian.
So kam es, dass sie im 6. Monat ihrer Schwangerschaft in ihrer neuen Heimat ankam. Dort wurde sie sofort herzlich aufgenommen und niemand störte sich daran, dass sie schwanger aber unverheiratet war. Es wurden ihr keinerlei Fragen gestellt, doch als trotzdem ihre ältliche Vermieterin erfuhr, was ihr widerfahren war, ward sie um so mehr bemuttert und umsorgt.
Schließlich schenkte sie einer wunderschönen kleinen Tochter das Leben und es war, als wäre ihr selbst ein neues Leben geschenkt worden. Eine zweite Chance.

Bis zur Geburt hatte Seraphine sich keine Gedanken um ihren Nachwuchs gemacht, doch nun musste sie einen Namen für das Würmchen finden. Nach dem ersten Bad allerdings war auch dieses Problem gelöst und die kleine Wassernixe wurde Undine getauft.
Undines Haut war nicht ganz so dunkel, wie die ihrer Mutter. Sie war eher schokoladenbraun aber genauso geschmeidig und weich. Doch nicht nur ihr Aussehen war wunderschön. Auch charakterlich stand sie ihrer Mutter in nichts nach. Bereits als Kind war sie sehr beliebt und hatte viele Freunde. Einer davon war Ilias Lanilor.
Sie lernten sich in der Schule kennen, spielten oft miteinander und heckten die frechsten Streiche aus. Zu ihnen gesellte sich später auch Connor V Duke und manchmal sogar Isabeau.
Conner entstammte einer reichen Handelsfamilie, doch er war keineswegs snobistisch. Ganz im Gegenteil. Er war so frech und freundlich, munter und fröhlich, wie ein Junge in seinem Alter nur sein konnte. Die 3 Freunde verbrachten eine wundervolle Zeit miteinander, bis sie zusammen zur Uni gingen. Sie teilten sich eine kleine Wohnung außerhalb des Campus und lebten recht harmonisch miteinander. Aber es gab auch immer häufiger kleine spannungen zwischen Connor und Ilias. Connor, der ein ruhiger Bursche war und sich gerne mit Undine über Gott und die Welt unterhielt, musste immer häufiger die schlechten Stimmungen seines Freundes erdulden, denn dieser war sehr eifersüchtig. Er war bereits seit einiger Zeit in Undine verliebt und Conner wusste dies. Er wusste auch, dass Undine die Gefühle seines Freundes teilte, aber Ilias entging dies vollkommen.
So musste Connor letztendlich selbst zur Tat schreiten. Er arrangierte ein kleines Dinner for two in ihrer Wohnung. Dazu dekorierte er das Wohnzimmer mit Kerzen und roten Rosen. Er legte stimmungsvolle Musik auf und zauberte die besten Spaghetti Bolognese, die die Welt je gesehen hatte. Dann lockte er das unwissende Paar mit kleinen Briefchen, jeweils angeblich von der geliebten Person, in die Wohnung und ließ sie allein.
Dieser kleine Eingriff in das Liebesleben seiner zwei besten Freunde hatte allerdings weitreichendere Folgen, als er geplant hatte. Nachdem er am nächsten Tag wieder in die Wohnung kam, verkündeten ihm Ilias und Undine, dass sie verlobt seien! Dies war zwar ein kleiner Schock, aber zumindest ein positiver. Niemand hatte etwas gegen diese spontane Entscheidung einzuwenden, da die beiden sich ja bereits von Kindes Beinen an kannten und es bereits seit Jahren offensichtlich war, dass sie einfach zusammen gehören. Also wurde gleich nach dem Studium Hochzeit gefeiert.
Ilias’ Base Isabeau konnte nicht an diesem Ereignis teil nehmen, da sie gerade mit der Geburt ihrer Tochter verhindert war. Wie ihre Mutter, wurde sie schon früh schwanger. Allerdings war diesmal der Vater des Kindes bekannt und Isabeau wollte ihn sogar heiraten. Doch das Schicksal gönnte der Familie Lanilor keine Ruhe. Isabeaus Verlobter Thomas Ryan, ein junger Pilot, kam kurz vor der Geburt seines Kindes bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.
Die arme Isabeau schloss daraufhin mit ihrer Vergangenheit ab und wanderte aus. Doch zuvor konnte sie nicht verhindern, dass das Geheimnis um ihren eigenen Vater gelüftet wurde. Ihre Tochter, Luca, hatte schimmernde, bräunliche Haut und pechschwarze schräg geneigte Augen. Tatsächlich ähnelte sie Rasmus Nasseydo so sehr, dass kein Zweifel daran bestand, wer ihr Großvater gewesen sein muss!
Aber auch diese Tatsache hielt Isabeau nicht davon ab den Ort zu verlassen, der ihr so viele Opfer abverlangt hatte.
Ionesco und Ilias waren zunächst sehr bedrückt über den Fortgang Isabeaus, doch mit der Zeit gewöhnten sie sich daran und hofften sie würde endlich Frieden und Freude finden.

Spätestens als Indigo geboren wurde, hatte der stolze Vater Ilias sowieso alle Hände voll zu tun und dachte nicht mehr so oft an seine Base und ihre Tochter. Der kleine war ein aufgewecktes Kind und sehr neugierig. Kein Gegenstand in seiner Reichweite war sicher vor ihm. Er musste alles ausprobieren, alles betasten, alles schmecken. Er liebte alles farbige und alles was leuchtete. Eines Tages entdeckte er seine Leidenschaft für die Malerei. Er war immer noch sehr jung, entwickelte aber schnell ein ausgeprägtes Talent. Seine Eltern unterstützten ihn mit all ihren Kräften und so wurde er bereits in jungen Jahren ein angesehener Maler.
Ilias und Connor V waren immer noch die besten Freunde. So gab es auch viele gemeinsam verbrachte Familienfeste, bei denen auch ihre Kinder zusammen spielen konnten..... Allerdings arteten ihre Spiele eher in wilden Rauferein aus, als in friedlichem zusammensein, denn Indigo Lanilor und Rebecka Duke konnten sich nicht ausstehen! Sie waren wie Feuer und Wasser. Jedes Mal, wenn sie sich begegneten, gab es Streit.
Diese Antipathie existierte zum Leidwesen ihrer beider Väter, denn die hatten eigentlich gehofft ihre beiden Familien mit einer Heirat enger aneinander binden zu können. Dies schien jedoch leider unmöglich, da Ilias nur ein einziges Kind hatte und Connor V außer Rebecka nur noch einen Sohn, der keinerlei Ambitionen zeigte jemals zu heiraten. Ein Einstellung, die Connor V großen Kummer bereitete, war doch sein Sohn Connor VI sein Stammhalter, Erbe und, wenn er nicht zur Vernunft käme, der letzte Duke.
Als Rebecka 10 wurde, kam sie auf ein Internat für junge Damen und besuchte ihre Eltern nur noch in den Sommerferien. Während Indigo seine künstlerischen Fähigkeiten schulte, lernte sie allerhand über gutes Benehmen, Hausarbeit, Tanz und Gesang. Zugegeben eine recht altmodische Erziehung, aber die Dukes waren auch eine altmodische Familie, mit adeligen Wurzeln. Die Duke Männer hatten ein Händchen dafür Frauen aus wohlsituierten Familien zu ehelichen. Man könnte es schon fast eine Tradition nennen, die mit dem ersten Duke des Namens Connor begann. Er ehelichte eine Tochter der britischen Stuarts. Sein Sohn, Connor II wurde mit einer französischen Duchesse verheiratet und so ging es weiter, bis zu Connor V. Seine Frau war die Tochter eines deutschen Kapitäns, Graf Von und Zu Bach.
Besagter Kapitän vergötterte seine Enkelin, die er so oft er nur konnte in ihrem Internat besuchte. Aber auch das Mädchen liebte ihren Großvater innig, sodass die beiden noch am Tag ihres Schulabschlusses zusammen eine lange Weltreise antraten.
Indigo hielt sich alsbald auch im Ausland auf, um neue Techniken zu lernen und die Werke berühmter Künstler zu studieren. Er verbrachte eine lange Zeit mit seinen Studien und mochte gar nicht mehr aufhören, die oft sehr alten Werke zu bestaunen. Doch eines Tages bekam er Sehnsucht nach seinem Zuhause und seinen Eltern und so buchte er eine Fahrt auf dem nächsten Schiff, welches im Hafen anlegte.Diese Reise veränderte sein Leben. Auf dem Schiff lernte er jemanden kennen, den er fortan nicht mehr in seinem Leben missen wollte. Zuerst wusste er nicht, dass es sich bei dieser Person um die einst so verhasste, kleine Nachbarstochter handelte und auch Rebecka hatte anfangs keine Ahnung, mit wem sie dort flirtete. Doch als sie beide es herausfanden, waren sie mehr amüsiert, als verärgert. Sie scherzten miteinander und erzählten sich Geschichten über ihre Kindheit. So geschah es also, dass der Wunsch der beiden alten Freunde Ilias und Connor V doch noch in Erfüllung ging. Ihre Familien wurden durch die Heirat von Indigo und Rebecka noch enger aneinander gebunden.

.

Dienstag, 21. Juli 2009

Das Leben ging weiter

.
Wie so viele Frauen in dieser Zeit hatte auch Aurora Komplikationen bei der Geburt. Sie starb zwar nicht im Kindbett, aber ihr wurde nahegelegt keine weiteren Kinder mehr zu bekommen, um es nicht doch noch dazu kommen zu lassen.
So blieben sie also zunächst zu viert. Während Iberian und Aurora weiterhin ihrer gemeinnützigen Arbeit nachgingen, kümmerte sich Großmutter Caballera um den kleinen Ioram.
Es war eine fröhliche Zeit voller Güte und Zärtlichkeit. Der jüngste Lanilor wurde von allen vergöttert. Er hatte zwar nicht die engelhaften, goldenen Locken seiner Mutter geerbt, doch seine strahlend blauen Augen bildeten einen solch atemberaubenden Kontrast zu seinem pechschwarzen Haar, dass niemand seinem Anblick wiederstehen konnte. Die Bürger Peridians pflegten ihn mit „kleiner Herr“ oder „Prinz“ anzusprechen. Dies gefiel seinen Eltern überhaupt nicht, denn auch wenn sie sehr stolz auf ihren Sohn waren und mit Freude seine Beliebtheit beobachteten, fürchteten sie sich dabei ein wenig, dass der Charakter des Jungen darunter leiden könnte.

Mittlerweile hatte Iberian seiner Frau berichtet woher er stammte. Aufgeregt hörte sie ihm dabei zu, wie er die Geschichte wiederholte, die ihm vor nicht allzu langer Zeit seine ehemalige Kinderfrau erzählt hatte.
Während er erzählte, hielt sie seine Hand und ermunterte ihn weiter zu sprechen, wenn er traurig wurde.
Seit dem sprachen sie oft und viel miteinander über Tirnanòg und über ihren Traum eines Tages doch einmal dieses Land sehen zu können. Jeder Kaufmann und jeder Reisende wurden befragt, ob sie in diesem Land gewesen seien und wie die Situation mittlerweile dort aussieht, aber es schien ausweglos. Die Formoren herrschten immer noch, trotz zahlreicher Wiederstände der unterdrückten ehemaligen Bewohner und erbitterter Kämpfe mit wiederkehrenden Vertriebenen.

Die Zeit verging und der Knabe Ioram wuchs zu einem stattlichen jungen Mann heran. Seine Eltern waren sehr stolz auf ihn. Er half bei allen anfallenden Arbeiten in der wachsenden Stadt und studierte fleißig. Nicht jeder hatte in diesen Tagen die Möglichkeit eine Schule zu besuchen, weswegen eine solche Ausbildung umso wichtiger und erstrebenswerter war.
Mit dem Wissen, das Ioram erlernen sollte, würde er eines Tages seiner Stadt und seiner Familie eine große Hilfe sein.
Bereits in jungen Jahren entwickelte er ein tiefes Verständnis für die Biologie. Sein Ehrgeiz und Wissensdurst halfen ihm auf seinem Weg ein guter Arzt zu werden. Zahlreiche Auszeichnungen und Preise zierten bald die Wände und Regale des elterlichen Hauses. Wie sein Vater wurde er zu einem angesehenen Bürger Peridians.
Eine erfüllte Kindheit und strebsame Jugend formten aus ihm einen zufriedenen Mann, der Freude an der Natur hatte und so gütig war, wie es ein Mensch nur sein konnte. So war es auch kaum verwunderlich, dass er als Junggeselle sehr beliebt bei den Damen des Ortes war. Doch die Damen wurden alle samt enttäuscht, denn Ioram hatte sich bereits in Aljana Mardaneos verliebt, die samt ihrer Mutter erst vor Kurzem nach Peridian gezogen war.
Als ein gutaussehender und beliebter junger Mann war Ioram weder schüchtern noch prüde. Er umgarnte Aljana mit vielerlei Komplimenten, machte ihr Geschenke und lud sie stets zu jeder Tanzgelegenheit ein. Dem Mädchen stieg der ganze Trubel fast zu Kopf. Trotz ihres recht hübschen Antlitzes war sie noch nie von jemandem so umschwärmt worden. Nach nicht allzu langer Zeit gab sie den Annäherungen von Ioram nach und verabredete sich mit ihm. Die Nachmittage, die sie zusammen verbrachten waren herrlich. Sie tanzten zusammen, sie lachten gemeinsam und kamen sich dabei immer näher.
In anderen Städten wäre es noch Brauch gewesen, dass die Eltern eine passende Braut für ihren Sprössling suchen, doch in Peridian liebte man die Freiheit. Dies galt sowohl für Männer, als auch für die Frauen. Also bat Ioram Aljana erst um ihre Hand, als er sich sicher war, dass sie ihn genauso liebte, wie er sie.

Die Hochzeit wurde, wie schon bei Iberian und Aurora im Gemeindezentrum gefeiert und wieder versammelte sich die gesamte Stadt. Das glückliche Paar wurde an einem herrlichen Junitag getraut und verlebte viele glückliche Jahre miteinander.
Aber natürlich gab es auch schlechtere Zeiten und alles schien mit der Geburt der „Vierlinge“ anzufangen....

Zunächst lebten Ioram und Aljana zufrieden miteinander in Peridian. Ioram praktizierte als Arzt und Aljana half ihm wo sie nur konnte. Eigentlich hatten sie nie viel über eine eigene Familie nachgedacht, doch als sie sich entschlossen ein Kind zu bekommen, wurde Aljana alsbald schwanger. Die Geburt wurde ein großes Ereignis, denn die junge Frau wurde in ihrem trauten Heim von Zwillingen entbunden.
Es waren prächtige Kinder. Ein Mädchen, das Aurelie genannt wurde und ein Junge mit Namen Ionesco. Aber das Seltsame an diesem Ereignis waren nicht die Kinder, sondern ihre bald darauf eingetroffenen „Geschwister“.
Als die Babys erst einige Tage alt waren, hörten die stolzen Eltern ihre Türglocke läuten. Es war bereits spät und sie erwarteten niemanden. Mit Verwunderung öffnete Ioram die Haustüre und bekam sogleich einen Schreck. Vor der Tür stand ein schwer verwundeter Mann mit zwei Bündeln in seinen Armen.
Die Bündel stellten sich als Neugeborene heraus, doch bevor Ioram auch nur eine Sekunde an sie verschwendete, bemühte er sich erst mal dem Unbekannten zu helfen. Trotz seiner enormen ärztlichen Begabung war es jedoch schon zu spät. Der arme Mann erlag seinen Verletzungen. Er konnte nur noch seinen Namen und die der beiden Weisenkinder nennen, denn sie waren nun Weisen. Der Mann hieß John Nasseydo und die beiden Findelkinder, seine eigenen Kinder, wurden auf seinen letzten Wunsch Rasmus und Trinity getauft.
Aljana entwickelte sofort eine starke Zuneigung zu den beiden Weisen und so wurden sie von ihr und ihrem Mann bei sich aufgenommen. Es stellte sich heraus, dass sie beinahe zur selben Zeit geboren wurden, wie Ionesco und Aurelie und dass ihre Mutter bei der Geburt gestorben war. Ihr Vater wurde auf dem Weg nach Peridian von Räubern überfallen und schwer verwundet. Er schaffte es gerade noch zum ersten Haus, dass er auf seinem Weg traf. Dies war das Haus der Lanilor, welches etwas abseits der Stadt stand.
Man hätte die beiden Zwillingspärchen leicht verwechseln können, wenn sie nicht so verschieden gewesen wären. Während Ionesco und Isabeau genau wie ihr Vater helle Haut, schwarzes Haar und blaue Augen hatten, wiesen die Neuankömmlinge etwas Exotisches an sich auf. Ihre Haut schimmerte bräunlich und die Augen waren pechschwarz und schräg geneigt. Solche Menschen waren bisher noch nie in Peridian gesehen worden, weswegen sie überall auffielen.

Alle vier Ziehgeschwister wuchsen gut und mit Liebe auf. Doch die beiden Adoptivkinder fühlten sich immer ein wenig ausgeschlossen. Sie passten nicht in diese Stadt, wo alle helle Haut und strahlende Augen hatten. Die Kinder in der Schule starrten sie an, die Lehrer bemitleideten sie. Aljana und Ioram versuchten ihnen gute Eltern zu sein. Alle vier wurden auf die selben Schulen geschickt, denn nun durften auch Mädchen die Schule besuchen, und alle vier wurden gleichermaßen geliebt. Aber dennoch... es blieb immer etwas an Rasmus und Trinity hängen, das sie anders machte. Als ob ihre Ausstrahlung sie zu anderen Menschen werden ließ.
Als sie noch Kinder waren, spielte ihre Andersartigkeit keine Rolle, denn sie verstanden es nicht. Aurelie war bei Rasmus besonders anhänglich. Sie vergötterte ihren Ziehbruder geradezu. Doch mit den Jahren kam auch die Erkenntnis. Obwohl jeder Bewohner Peridians sie mit Respekt und wie ihres gleichen behandelte, fühlten sich die Zwillinge zunehmend fremd in dieser Stadt. Diese Gefühle spitzten sich zu, bis sie eines Tages beschlossen ihren eigenen Weg zu gehen.
Aurelie war am Boden zerstört. Sie konnte nicht verstehen, warum Rasmus, mit dem sie sich so tief verbunden fühlte, sie verlassen wollte. Rasmus seinerseits liebte Aurelie und hätte sie sogar geheiratet, doch er musste zuerst seine eigenen Wurzeln finden, bevor er eine neue Familie gründen konnte. Seine Schwester begleitete ihn ebenfalls nicht, da er die Reise für zu gefährlich hielt. Trinity ließ sich nicht gerne dazu überreden, willigte schließlich aber um ihres Bruders Willen ein. Diesen Entschluss sollte sie allerdings sehr bald schon bereuen.....
Nur kurze Zeit nachdem Rasmus aufgebrochen war, befand er sich wieder in Peridian. Dies war jedoch kein Anlass zur Freude, denn der junge Mann kam nicht lebend zurück.
Auf seinem Wanderweg wurde Rasmus, wie einst sein Vater, von Räubern überfallen und da er sich gewehrt hatte, niedergestochen.
Trinity war daraufhin nicht mehr wieder zu erkennen. In einem Augenblick war sie extrem wütend auf die gesamte Welt, auf sich selbst, weil sie nicht mit ihrem Bruder gegangen war, auf die ihr verhassten Räuber, auf ihre Vorfahren, deretwegen Rasmus weggegangen war und alles, das ihr in den Sinn kam und im nächsten Moment versank sie in Trauer und Selbstmitleid. Dieser Gemütszustand dauerte einige Zeit lang an, bis sie sich selbst davon erlöste, indem sie sich das Leben nahm.

Aurelie wurde indes immer ruhiger. Sie verbrachte ungewöhnlich viel Zeit allein außer Haus. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Ioram und Aljana waren nach dem Tod zweier ihrer Kinder in so kurzer Zeit schwer bedrückt. Die „fremden“ Zwillinge waren ihnen sehr ans Herz gewachsen. Doch das noch junge Ehepaar tröstete sich gegenseitig und auch Ionesco kam über den Verlust seiner Geschwister und Freunde hinweg. Schließlich ging es allen so weit wieder besser, dass sie zum ersten Mal richtig bemerkten, wie zerstreut Aurelie geworden war.
Mittlerweile waren schon mehrere Monate seit den Beerdigungen vergangen und das Mädchen veränderte sich zunehmend. Als sie von ihrem Bruder eines Tages zur Rede gestellt wurde erlitt dieser beinahe einen Schock. Kaum volljährig war Aurelie schwanger und sie verriet partout niemandem wer der Vater war. So wurde sie nicht nur zu einer sehr jungen, sondern auch einer unverheirateten Mutter. Sie hätte in Peridian einen Skandal ausgelöst, wenn die Familie Lanilor nicht so beliebt und ihr Schicksalsschlag nicht bekannt gewesen wäre. Das kleine Mädchen, das Aurelie zur Welt brachte, bekam den Namen Isabeau. Damit missachtete sie sowohl die Tradition ihrer Familie, nach der nur die männlichen Nachkommen Namen mit dem Anfangsbuchstaben I erhalten, als auch die Tatsache, dass bisher alle Lanilor Frauennamen mit A anfingen.
Die Geburt ihrer Tochter schwächte Aurelie zusehends, bis sie an einem wunderschönen Herbstabend an einer mysteriösen Herzkrankheit starb.
Sie wurde an ihrem Lieblingsplatz unter einem Apfelbaum begraben.
Von nun an kümmerten sich zunächst die Großeltern und später Ionesco mit seiner Frau um seine kleine Nichte.
Ionesco lernte seine zukünftige Frau, Violetta, durch seinen Vater kennen. Sie war die Tochter eines alten Freundes und wurde nach ihren außergewöhnlichen, violetten Augen benannt.
Trotz dieser sie liebenden Ersatzeltern und bald sogar einem kleinen „Brüderchen“ war Isabeau stets ein wenig unnahbar und in sich gekehrt. Sie schien sich wie damals Trinity und Rasmus nie richtig einzuleben. Im Gegensatz zu den Zwillingen passte sie aber zumindest äußerlich zu Peridian. Sie besaß die schwarzen Haare und blauen Augen ihrer Familie und eine makellose weiße Haut....
Und dennoch wurde sie ein Außenseiter.
.

Dienstag, 24. Juni 2008

Kapitel I - Iberian (Seite 2)

.
Eine halbe Ewigkeit verging, bevor das glückliche Paar heiraten konnte. Es musste so vieles vorbereitet und geplant werden. Außerdem musste natürlich die der Sittsamkeit gebührende Verlobungszeit eingehalten werden. Doch es störte die jungen Leute nicht. Es genügte ihnen zusammen sein zu dürfen, auch wenn sie nicht die Rechte von Eheleuten besaßen und die süßen Pflichten einer kirchlich gesegneten Verbindung ausüben zu können.
Sie flanierten oft und ausgiebig im großen Park und arbeiteten zusammen am Aufbau der Stadt weiter. Durch ihre öffentliche arbeit stärkte sich Auroras Selbstbewusstsein und sie avancierte zu einer herausragenden Persönlichkeit, die durch ihre natürliche Freundlichkeit und die herzliche Ausstrahlung von vielen Seiten geliebt wurde. Sie angagierte sich sehr im Bereich der Kinderversorgung und gründete Schulen und ließ Spielplätze bauen. Kinder lagen ihr sehr am Herzen, denn sie konnte sehr gut mit ihnen umgehen. Sie liebte sie einfach, ob groß, ob klein und konnte es kaum erwarten erstmal eigene Kinder zu haben.

Dieser Wunsch sollte sich bald erfüllen, denn auch die Verlobungszeit ging einmal zu Ende.
Die Hochzeit wurde zwar nicht mit großem Prunk aber dafür sehr ausgiebig und freudig gefeiert. Die ganze Stadt hatte sich zur Zeremonie in der Kirche versammelt. Alle waren gekommen, denn alle waren Freunde Iberians. Er hatte so vieles für die Stadtbewohner getan, dass er regelrecht verehrt wurde. Die Menschen erfreuten sich an seinem Glück und bewunderten die schöne Braut. Es gab so einige kleine Neider, doch natürlich hätte niemand Iberian sein Glück vergönnt.

Die Feier fand im Gemeindesaal der Kirche statt, der beinahe zu klein für die ganzen Menschen war. Zum Festmahl hatte jeder Bewohner etwas beigesteuert. Der Metzger schlachtete sein bestes Schwein, der Bäcker zauberte einen wundervollen Kuchen, die Bauern brachten reichlich Obst und Gemüse. Jeder, der nur das kleinste bischen entbehren konnte, war begierig darauf es der Hochzeitsgesellschaft zu überlassen. Auf diese Art wurden auch die nötigen Tische und Stühle, Gläser und das Besteck herangeschafft. Die ganze Feier glich einem bunten Bankett zu Ehren des Brautpaares. Beinahe so, als wüssten die Stadtbewohner um Iberians edle Herkunft, doch das taten sie nicht. Iberian, der immer sehr schweigsam gewesen war, hatte nie auch nur ansatzweise daran gedacht, seine Herkunft jemand anderem anzuvertrauen. Er fürchtete sich vor dem Mitleid der Leute und davor auf einen Sockel gestellt zu werden. Er hatte sich nie für etwas Besseres gehalten, denn er war ja als einfacher Mann erzogen worden. Er lebte immer inmitten des sogenannten „einfachen Volkes“ und er hätte nie daran gedacht etwas besseres als alle anderen zu sein.

So wurde aus der liebreizenden Aurora Verdistis also eine Lanilor. Und wie glücklich sie war!
Das junge Paar lebte glücklich in den Tag hinein mit guten Freunden und genügend Arbeit um sie herum. Noch bevor ein Jahr ins Land gestrichen war, vergrößerte sich auch schon ihre kleine Familie.Aurora hätte Iberian nicht glücklicher machen können, als mit dem kleinen Jungen, der zur Weihnachtszeit geboren wurde. Der stolze Vater, dem seine Familie sehr wichtig war, dachte bei der Namensvergabe an seine Vorfahren. Sowohl sein eigener Vater, als auch er selbst, trugen einen Vornamen mit dem Anfangsbuchstaben I. Dementsprechend wurde das Kind auf den Namen Ioram getauft.
.

Mittwoch, 9. Mai 2007

Kapitel I - Iberian (Seite 1)

.
Am Wegrand einer kleinen, idyllischen Stadt stand ein Haus... eigentlich glich diese Unterkunft, mit ihren langsam verrottenden Balken und aus den Angeln gehobenen Fensterläden mehr einer heruntergekommenen Hütte.
Doch obwohl es von außen erbärmlich wirkte, führten seine Bewohner zeitlebens ein glückliches und zufriedenes Dasein.
Das Innere des Hauses war nur spärlich eingerichtet. Neben einem Tisch und zwei Stühlen, gab es nur eine alte Kochstelle, ein Bett und ein Strohlager. Die einzige Kuh der Bewohner lebte mit in dem kleinen Häuschen.
Auf dem Bett lag eine alte Frau. Ihr Atem ging keuchend und ihre Lieder waren schwer.
Ihre Aschfahle Haut war durchzogen von Falten, den Zeugen ihres harten aber langen Lebens.
Der Priester war vor wenigen Minuten gegangen. Er hatte ihr die letzte Beichte abgenommen und sie gesegnet. Nun wollte sie noch einen Augenblick allein sein, ehe sie diese Welt für immer verlassen würde.
Vor ihrem Bett kniete ein Jüngling. Er weinte und hielt ihre Hand.
„Bitte, verlasst mich nicht Mutter! Ich habe doch sonst keinen auf dieser Welt!“, flüsterte er.
Eine Träne fiel auf die knochige Hand der Alten. Mit brüchiger Stimme begann sie zu sprechen:
„Ssssscht, mein Sohn. Du musst dich nicht fürchten. Ich gehe nicht fort. Ich werde immer bei dir sein... In deinen Gedanken und deinem Herzen werde ich dich begleiten, wo auch immer du hingehst!“
Ein heftiger Husten schüttelte sie. Bevor sie weitersprach reichte der Junge ihr einen Krug Wasser. „Iberian, mein Junge.... Ich habe dir all die Jahre etwas verschwiegen. Bitte verzeih mir, aber ich wollte dich nur schützen.
Vor langer Zeit habe ich deinem Vater versprochen, dir alles über deine Vergangenheit, deine Herkunft und Abstammung zu erzählen. Dein Vater war ein guter Mann. Er war treuer Untertan und Freund des Königs von Tirnanòg...“ In Gedanken fragte sich die Alte, ob dieses Land wohl noch existiere. „Deine Mutter ist bei deiner Geburt gestorben....“
So erzählte die frühere Kinderfrau, mit der ihr noch verbleibenden Kraft, ihrem Schützling seine und ihre gemeinsame Geschichte.
Wer er war und wer seine Vorfahren gewesen waren, wie sie in das Haus der Lanilor kam und den Jungen sofort in ihr Herz geschlossen hatte, wie es dazu kam, dass sie hatten fliehen müssen und schließlich, wie sie in diese Stadt kamen und hier ihr neues Leben begannen.
Der Junge, Iberian, war sichtlich verwirrt, aber auch neugierig. Er fragte nach jedem Detail aus seinem früheren Leben. Doch irgendwann war auch die letzte Kraft der alten Frau erschöpft. Sie konnte kaum noch ihre Lippen öffnen. So zeigte sie Iberian mit einem leichten Kopfnicken, wo er einen Schlüssel finden würde. Dieser Schlüssel gehörte zu einer kleinen Truhe, die unter einer morschen Holzdiele versteckt war. In ihr würde Iberian die Antworten auf seine Fragen finden.
Sie hatte nur noch eine Bitte an ihren Ziehsohn. Er solle nie nach Tirnanòg zurückkehren! Durch befreundete Barden, die die gesamte Welt bereisten, hatte sie erfahren, dass die Formoren mittlerweile alle Einheimischen des Landes vertrieben oder versklavt hatten. Die Männer mussten in Bergwerken arbeiten und die Frauen wurden an Freudenhäuser oder an zwielichtige „Edelmänner“ verkauft. Frei lebten nur noch die Formoren selbst.
Erleichtert, dass der geliebte „Sohn“ nun die Wahrheit wusste und ihre Bitte nicht ausschlug, wanderte das einstmalige Kindermädchen langsam in das Totenreich über, auf den Lippen leise „Tirnanòg“ hauchend. Sie hatte es schon damals gewusst, als sie das Schloss Phoibe zum letzten Mal in seiner Pracht gesehen hatte. Sie war nie lebend in das Land ihrer Geburt zurückgekehrt...
An der Beerdigung nahm die gesamte Stadt teil. Die alte Frau war sehr beliebt bei allen Bewohnern. Sie war stets freundlich zu allen gewesen und achtete oft auf die Kinder ihrer Nachbarn, wenn diese auf den Feldern oder in den Werkstätten arbeiten mussten. Zunächst eine freundliche Lehrerin oder Tante, wurde sie für die Kinder des Dorfes später zu einer Lieben Großmutter und viele ihrer früheren Zöglinge, hatten heute selbst bereits Kinder.

Iberian hatte am Vortag auf der Wiese die Lieblingsblumen der Verstorbenen gesammelt, um sie auf ihr Grab zu legen. Es goss in Strömen und alle Anwesenden wurden bis auf die Haut durchnässt. Als schon alle gegangen waren, stand Iberian immer noch am frischen Grab und sann über seine Zukunft nach. Was er in den letzten Tagen und Stunden erfahren hatte, veränderte sein ganzes Leben!
Jetzt, da seine „Mutter“ tot war, hielt ihn nichts mehr an diesem Ort. Das Wissen um seine Vergangenheit machte ihn rastlos. Er fühlte sich nirgends mehr zuhause...

So kam es, dass er eines Tages Abschied nahm. Abschied von seinen Freunden, von dem kleinen Haus, in dem er so viele Jahre gelebt hat, von der gesamten Stadt. Zuletzt aber stand er am Grab der einzigen Mutter, die er gekannt hatte. Er verabschiedete sich auch von ihr und mit Tränen in seinen tiefblauen Augen ging er fort.
Sein Versprechen einhaltend wanderte Iberian nicht nach Tirnanòg, obgleich ihn seine Gedanken dorthin zogen.
Lange Zeit irrte er umher, auf der Suche nach etwas, das er verloren glaubte. Seine Familie, seine Freude, seine Heimat.... Es kam ihm vor, als hätte er die ganze Welt bereist, als er eines Tages in Peridian ankam. Viele Jahre war er unterwegs gewesen und zahlreiche Orte hatte er gesehen.
Aber solche Trostlosigkeit und zugleich Wärme und Geborgenheit, hatte er noch nie gleichzeitig an einem Ort verspürt.
Das gesamte Dorf glich einer Armensiedlung, doch die Einwohner hätten auch noch ihre letzte Habseligkeit mit anderen geteilt. Ihre Gutmütigkeit war größer, als der stärkste Hunger, den sie hätten verspüren können. Um das Dorf herum waren einst viele Felder angelegt worden, von denen sich die Dorfbewohner ernährten. Doch es gab immer weniger junge, starke Männer, die sie hätten bestellen können. Auch die Fische, im nahe gelegenen See wurden von niemandem mehr gefangen.
Die jungen Leute waren in die Welt hinausgezogen, um sie zu erkunden. Zurück geblieben, waren nur die Alten und Kranken.
Irgendetwas an diesem Dorf bewog Iberian zu bleiben. In einem verlassenen Haus richtete er sich eine Unterkunft ein und fortan half er, wo er nur konnte.

Auch hier verflog die Zeit rasch. Iberian schritt mit ganzem Herzen zur Tat, denn sein Ziel war es das verkommene Dorf in eine glanzvolle Stadt zu verwandeln. Zunächst noch allein in diesem Vorhaben, da ihm ja keiner helfen konnte, gesellten sich immer mehr Männer zu ihm. Wandersleute und bekehrte Diebe. Vogelfreie und Kaufleute. Jeder von ihnen hatte seine eigene Geschichte und alle hofften auf ein neues, schöneres Leben. Schon bald sahen die Hütten nicht mehr trostlos aus. Sie strahlten in einem prächtigen Weiß. Was nicht repariert werden konnte, wurde durch Neues ersetzt. Das Korn wurde wieder geerntet, die Fische gefangen, Wild gejagt. Es wurden Lager errichtet und befüllt.
Langsam wuchs eine blühende Stadt mitten im Nirgendwo, einzig umringt von Feldern, Wiesen und Wäldern. In der Ferne sah man noch die Ausläufer eines Gebirges.

Als die öffentlichen Gebäude fertig waren, begann Iberian damit sich ein eigenes Haus zu bauen. Bis jetzt hatte er in einer verlassenen Scheune genächtigt. Es wurde ein schönes, kleines Haus. Gerade groß genug für eine Familie...
Doch eine Familie hatte er nicht. Wozu brauchte er dann ein Haus?
Er begann, andere Menschen bei sich aufzunehmen. Männer und Frauen, die auf der Durchreise waren oder sich in Peridian niederlassen wollten. Er bot ihnen eine Unterkunft, bis sie weiter zogen oder eine eigene Bleibe gefunden hatten. Mittlerweile wurden viele Häuser für die Neuankömmlinge errichtet. Und es kamen immer mehr Menschen. Peridians Ruf verbreitete sich in alle Himmelsrichtungen. Dort gab es Arbeit, Essen und ein Dach über dem Kopf für jeden, der gewillt war beim Aufbau zu helfen. Ob Bauer, ob Handwerker, jede helfende Hand wurde gebraucht. Und es wurden immer neue Gebäude errichtet.

Bald hatte die Stadt eine eigene Schule und auch ein Krämerviertel.
Eines Tages, als Iberian sich bereits an den Gedanken gewöhnt hatte ewig Junggeselle zu bleiben, klopfte es an seiner Tür. Als er sie öffnete, starrte er in 2 Paar großer, ängstlicher Augen, die mit denen eines Rehs hätten konkurrieren können.
Sie wurden von einem der ortsansässigen Fischer begleitet, der sie auch vorstellte.
Caballera Verdistis, samt Tochter Aurora. Caballera war Witwe und bereits im betuchten Alter. Ihre Tochter hingegen jung und so schön, wie die Rosen, die um Iberians Haus gerade zu blühen begangen.
Sie baten um eine Bleibe. Nach dem Tod des geliebten Gatten und Vaters, waren die Frauen praktisch mittellos und auf die Mildtätigkeit von Verwandten und Freunden angewiesen gewesen. Damals haben Frauen nichts besessen und durften auch nichts erben. Hatte ein Mann keinen Sohn, so viel sein Vermögen an den nächsten männlichen Verwandet. Doch ein solches Leben wollten sie nicht. In wohlhabenden Kreisen aufgewachsen, waren sie zu stolz, um sich aushalten zu lassen. Sie hörten von Peridian und dass es dort Arbeit gab. Bestimmt auch etwas für Frauenhände. Beide konnten ausgezeichnet nähen, sticken und stricken. Jetzt brauchten sie nur eine vorübergehende Unterkunft.

Iberian bot den beiden Frauen nur allzu gerne seine Gästezimmer an. Allzu sehr war er fasziniert von Aurora. Es gab keinen Augenblick, in dem er sie nicht beobachtete. Ihre filigranen Finger bogen sich so zierlich und doch kraftvoll um die Stricknadeln. Ihr Haar glich dem Korn auf den Feldern. Golden schimmerte es in der Nachmittagssonne. Ihre Haut erinnerte verführerisch an das Weiß der Milch.
Aber auch Aurora fand Gefallen an ihrem so freundlichen Gastgeber. Er war wohlerzogen und zuvorkommend. Jeden Wunsch las er ihr von den Augen ab. Wenn er aus dem Haus ging, brachte er jedes Mal ein Geschenk für sie, und natürlich auch ihre Mutter, mit. Sie wusste nicht mehr, wann es angefangen hatte, aber allmählich verliebte sie sich in diesen so stillen, jungen Mann.

Iberian war keine Zwanzig mehr, doch konnte man ihn auch nicht als alt bezeichnen. Aber, da er bis jetzt nie an Frauen oder gar ans Heiraten gedacht hatte, konnte er keine Erfahrungen beim anderen Geschlecht sammeln. Es vergingen Wochen, bis er sich Annäherungsversuche an Aurora gestattete. Mit hochrotem Kopf lud er sie zu einem Essen ein. Natürlich durfte ihre Mutter als Anstandsdame nicht fehlen, aber es wurde dennoch oder vielleicht auch gerade deshalb ein gelungener Abend. Anders, als das junge Paar, war Caballera keineswegs zimperlich oder gar schüchtern. Sie hatte das Leben, die Ehe und ihre Pflichten bereits kennen gelernt und wusste, dass es ein schönes Leben war. Sie glaubte auch zu wissen, dass der stattliche Iberian ihre Tochter liebte und diese seine Gefühle erwiderte. So spielte sie ein wenig den Amor, um es den beiden zu erleichtern ihre Gefühle zu zeigen.

Bereits zwei Monate später bat Iberian Aurora um ein Gespräch unter vier Augen. Anschließend hatte er eine Unterredung mit ihrer überglücklichen Mutter.
.

Montag, 26. Februar 2007

Prolog - Das Königreich

.
Der Krieg näherte sich seinem Ende und das einst so wunderschöne Land Tirnanòg konnte die Spuren der Schlacht nicht verbergen.
Wo noch vor wenigen Wochen imposante Wälder standen, zeigte sich nun rußbedeckte, schwarze Erde, sobald die Feuer erloschen waren. Die zahlreichen Bäche und Flüsse, die sich normalerweise durch das gesamte Land schlängelten, waren verschmutzt oder ausgedorrt. Alle Felder waren vernichtet, die Wiesen zertrampelt, die Dörfer verlassen.

Allein das Zentrum des kleinen Landes, das Schloss Phoibe, stand noch gewohnt an seinem Platz.
Die vielen Türme und der große Garten ringsherum, boten einen herrlichen Anblick. Mit seinen hellen Außenmauern und zahlreichen Lichtquellen wurde es seinem Namen vollkommen gerecht.
Doch,... wie lange mochte dieses wundervolle Bauwerk den Angriffen noch stand halten?
Ohne Verteidigungssysteme oder gar Waffen, war es seinen Feinden hilflos ausgeliefert.
Niemand in Tirnanòg hätte je gedacht, dass solch ein Tag einst kommen würde... ein schwarzer Tag für das gesamte Königreich!

Vor drei Monaten wurde Tirnanòg angegriffen. Es war der Clan der Formoren, die auf der Suche nach Macht und Reichtum, alles zerstörten, das sich ihnen in den Weg stellte. Ihre Soldaten verbreiteten Angst und Schrecken... Die Masken, die sie beim Kampf trugen, glichen hässlichen Bestien. Sie waren aus Holz geschnitzt, mit Blut und Kohle bemalt. Einige Kämpfer trugen sogar Hörner.
Viele Menschen glaubten leibhaftige Teufel vor sich zu haben.
So war es kaum verwunderlich dass sie aus ihren Dörfern flohen um der „übernatürlichen“ Gefahr zu entkommen.

Nun standen sie versammelt um das Schloss und es herrschte eine beunruhigende Stille.
Die königlichen Ritter waren bereits bis auf wenige dezimiert worden. Unter ihnen befand sich auch der König selbst. Thelian le bien Royale war der jüngste König seit Anbeginn Tirnanògs.
Eine schlimme Krankheit hatte erst vor wenigen Wochen seinen Vater getötet.
Man könnte meinen Thelian wäre ein Mädchen gewesen. Von Kindesbeinen an war er sehr zierlich und, wie einige Leute behaupteten, ziemlich schwächlich. Seine einfühlsame Art und sein freundliches Wesen machten ihn jedoch bei all seinen Untertanen beliebt. Doch solch ein Mensch ist nicht für den Krieg geeignet.
Dem König zur Seite stand ein langjähriger Freund der Familie. Lord Ismail von Lanilor war bereits der Berater des verstorbenen Königs und nun half er dessen Sohn, wo er nur konnte.
Die Royales und die Lanilor waren schon ebenso lange befreundet, wie das Königreich Bestand hatte.

Als es kaum noch Hoffnung auf einen Sieg gab, befahl Lord Ismail den König fort zu bringen.
Es wäre nicht klug gewesen ihn weiter dieser Lebensgefahr auszusetzen.
Wenn das Reich eines Tages wieder aufgebaut werden sollte, brauchte es einen König!
Aber Lord Ismail trug nicht nur Sorge um das Wohl des Landes und dessen Regenten. Auch seine eigene Familie musste er schützen...
So ließ er die Kinderfrau seines Sohnes Iberian rufen. Sie sollte dieses Land verlassen und das Kind aufziehen, als wäre es ihr eigenes. Bereits ahnend, dass er seinen Sohn niemals wiedersehen würde, gab er der verängstigten Frau noch eine Bitte mit auf ihren langen Weg. Sie sollte ihn und ihr Heimatland in Erinnerung behalten und seinem Sohn alles erzählen, was vorgefallen war, sobald er alt genug wäre. Auch gab er ihr die Familienchronik mit, auf dessen Einband das Familienwappen prangte.. So machte sich die Kinderfrau auf den Weg.

Da Ismails Frau bereits bei der Geburt des Sohnes gestorben war, wusste er nun alle seine Lieben in Sicherheit. Noch bevor das Paar aus Kind und Amme an der Grenze des Reiches angelangt war, konnte die verängstigte Frau von weitem erkennen, wie ein Turm des Schlosses nach dem anderen umfiel, als wären sie aus Papier. Die Formoren beschossen das Bauwerk mit riesigen Steinschleudern. Es blieben nur Trümmer übrig.

Schweren Herzens, mit Tränen in den Augen und dem wimmernden Kind im Arm lief sie weiter Richtung Süden. Sie hoffte sehnlichst eines Tages hierher zurückkehren zu können, doch tief in ihrer Seele spürte sie, dass sie das Land ihrer Jugend nie wieder würde sehen können...
.