Mittwoch, 9. Mai 2007

Kapitel I - Iberian (Seite 1)

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Am Wegrand einer kleinen, idyllischen Stadt stand ein Haus... eigentlich glich diese Unterkunft, mit ihren langsam verrottenden Balken und aus den Angeln gehobenen Fensterläden mehr einer heruntergekommenen Hütte.
Doch obwohl es von außen erbärmlich wirkte, führten seine Bewohner zeitlebens ein glückliches und zufriedenes Dasein.
Das Innere des Hauses war nur spärlich eingerichtet. Neben einem Tisch und zwei Stühlen, gab es nur eine alte Kochstelle, ein Bett und ein Strohlager. Die einzige Kuh der Bewohner lebte mit in dem kleinen Häuschen.
Auf dem Bett lag eine alte Frau. Ihr Atem ging keuchend und ihre Lieder waren schwer.
Ihre Aschfahle Haut war durchzogen von Falten, den Zeugen ihres harten aber langen Lebens.
Der Priester war vor wenigen Minuten gegangen. Er hatte ihr die letzte Beichte abgenommen und sie gesegnet. Nun wollte sie noch einen Augenblick allein sein, ehe sie diese Welt für immer verlassen würde.
Vor ihrem Bett kniete ein Jüngling. Er weinte und hielt ihre Hand.
„Bitte, verlasst mich nicht Mutter! Ich habe doch sonst keinen auf dieser Welt!“, flüsterte er.
Eine Träne fiel auf die knochige Hand der Alten. Mit brüchiger Stimme begann sie zu sprechen:
„Ssssscht, mein Sohn. Du musst dich nicht fürchten. Ich gehe nicht fort. Ich werde immer bei dir sein... In deinen Gedanken und deinem Herzen werde ich dich begleiten, wo auch immer du hingehst!“
Ein heftiger Husten schüttelte sie. Bevor sie weitersprach reichte der Junge ihr einen Krug Wasser. „Iberian, mein Junge.... Ich habe dir all die Jahre etwas verschwiegen. Bitte verzeih mir, aber ich wollte dich nur schützen.
Vor langer Zeit habe ich deinem Vater versprochen, dir alles über deine Vergangenheit, deine Herkunft und Abstammung zu erzählen. Dein Vater war ein guter Mann. Er war treuer Untertan und Freund des Königs von Tirnanòg...“ In Gedanken fragte sich die Alte, ob dieses Land wohl noch existiere. „Deine Mutter ist bei deiner Geburt gestorben....“
So erzählte die frühere Kinderfrau, mit der ihr noch verbleibenden Kraft, ihrem Schützling seine und ihre gemeinsame Geschichte.
Wer er war und wer seine Vorfahren gewesen waren, wie sie in das Haus der Lanilor kam und den Jungen sofort in ihr Herz geschlossen hatte, wie es dazu kam, dass sie hatten fliehen müssen und schließlich, wie sie in diese Stadt kamen und hier ihr neues Leben begannen.
Der Junge, Iberian, war sichtlich verwirrt, aber auch neugierig. Er fragte nach jedem Detail aus seinem früheren Leben. Doch irgendwann war auch die letzte Kraft der alten Frau erschöpft. Sie konnte kaum noch ihre Lippen öffnen. So zeigte sie Iberian mit einem leichten Kopfnicken, wo er einen Schlüssel finden würde. Dieser Schlüssel gehörte zu einer kleinen Truhe, die unter einer morschen Holzdiele versteckt war. In ihr würde Iberian die Antworten auf seine Fragen finden.
Sie hatte nur noch eine Bitte an ihren Ziehsohn. Er solle nie nach Tirnanòg zurückkehren! Durch befreundete Barden, die die gesamte Welt bereisten, hatte sie erfahren, dass die Formoren mittlerweile alle Einheimischen des Landes vertrieben oder versklavt hatten. Die Männer mussten in Bergwerken arbeiten und die Frauen wurden an Freudenhäuser oder an zwielichtige „Edelmänner“ verkauft. Frei lebten nur noch die Formoren selbst.
Erleichtert, dass der geliebte „Sohn“ nun die Wahrheit wusste und ihre Bitte nicht ausschlug, wanderte das einstmalige Kindermädchen langsam in das Totenreich über, auf den Lippen leise „Tirnanòg“ hauchend. Sie hatte es schon damals gewusst, als sie das Schloss Phoibe zum letzten Mal in seiner Pracht gesehen hatte. Sie war nie lebend in das Land ihrer Geburt zurückgekehrt...
An der Beerdigung nahm die gesamte Stadt teil. Die alte Frau war sehr beliebt bei allen Bewohnern. Sie war stets freundlich zu allen gewesen und achtete oft auf die Kinder ihrer Nachbarn, wenn diese auf den Feldern oder in den Werkstätten arbeiten mussten. Zunächst eine freundliche Lehrerin oder Tante, wurde sie für die Kinder des Dorfes später zu einer Lieben Großmutter und viele ihrer früheren Zöglinge, hatten heute selbst bereits Kinder.

Iberian hatte am Vortag auf der Wiese die Lieblingsblumen der Verstorbenen gesammelt, um sie auf ihr Grab zu legen. Es goss in Strömen und alle Anwesenden wurden bis auf die Haut durchnässt. Als schon alle gegangen waren, stand Iberian immer noch am frischen Grab und sann über seine Zukunft nach. Was er in den letzten Tagen und Stunden erfahren hatte, veränderte sein ganzes Leben!
Jetzt, da seine „Mutter“ tot war, hielt ihn nichts mehr an diesem Ort. Das Wissen um seine Vergangenheit machte ihn rastlos. Er fühlte sich nirgends mehr zuhause...

So kam es, dass er eines Tages Abschied nahm. Abschied von seinen Freunden, von dem kleinen Haus, in dem er so viele Jahre gelebt hat, von der gesamten Stadt. Zuletzt aber stand er am Grab der einzigen Mutter, die er gekannt hatte. Er verabschiedete sich auch von ihr und mit Tränen in seinen tiefblauen Augen ging er fort.
Sein Versprechen einhaltend wanderte Iberian nicht nach Tirnanòg, obgleich ihn seine Gedanken dorthin zogen.
Lange Zeit irrte er umher, auf der Suche nach etwas, das er verloren glaubte. Seine Familie, seine Freude, seine Heimat.... Es kam ihm vor, als hätte er die ganze Welt bereist, als er eines Tages in Peridian ankam. Viele Jahre war er unterwegs gewesen und zahlreiche Orte hatte er gesehen.
Aber solche Trostlosigkeit und zugleich Wärme und Geborgenheit, hatte er noch nie gleichzeitig an einem Ort verspürt.
Das gesamte Dorf glich einer Armensiedlung, doch die Einwohner hätten auch noch ihre letzte Habseligkeit mit anderen geteilt. Ihre Gutmütigkeit war größer, als der stärkste Hunger, den sie hätten verspüren können. Um das Dorf herum waren einst viele Felder angelegt worden, von denen sich die Dorfbewohner ernährten. Doch es gab immer weniger junge, starke Männer, die sie hätten bestellen können. Auch die Fische, im nahe gelegenen See wurden von niemandem mehr gefangen.
Die jungen Leute waren in die Welt hinausgezogen, um sie zu erkunden. Zurück geblieben, waren nur die Alten und Kranken.
Irgendetwas an diesem Dorf bewog Iberian zu bleiben. In einem verlassenen Haus richtete er sich eine Unterkunft ein und fortan half er, wo er nur konnte.

Auch hier verflog die Zeit rasch. Iberian schritt mit ganzem Herzen zur Tat, denn sein Ziel war es das verkommene Dorf in eine glanzvolle Stadt zu verwandeln. Zunächst noch allein in diesem Vorhaben, da ihm ja keiner helfen konnte, gesellten sich immer mehr Männer zu ihm. Wandersleute und bekehrte Diebe. Vogelfreie und Kaufleute. Jeder von ihnen hatte seine eigene Geschichte und alle hofften auf ein neues, schöneres Leben. Schon bald sahen die Hütten nicht mehr trostlos aus. Sie strahlten in einem prächtigen Weiß. Was nicht repariert werden konnte, wurde durch Neues ersetzt. Das Korn wurde wieder geerntet, die Fische gefangen, Wild gejagt. Es wurden Lager errichtet und befüllt.
Langsam wuchs eine blühende Stadt mitten im Nirgendwo, einzig umringt von Feldern, Wiesen und Wäldern. In der Ferne sah man noch die Ausläufer eines Gebirges.

Als die öffentlichen Gebäude fertig waren, begann Iberian damit sich ein eigenes Haus zu bauen. Bis jetzt hatte er in einer verlassenen Scheune genächtigt. Es wurde ein schönes, kleines Haus. Gerade groß genug für eine Familie...
Doch eine Familie hatte er nicht. Wozu brauchte er dann ein Haus?
Er begann, andere Menschen bei sich aufzunehmen. Männer und Frauen, die auf der Durchreise waren oder sich in Peridian niederlassen wollten. Er bot ihnen eine Unterkunft, bis sie weiter zogen oder eine eigene Bleibe gefunden hatten. Mittlerweile wurden viele Häuser für die Neuankömmlinge errichtet. Und es kamen immer mehr Menschen. Peridians Ruf verbreitete sich in alle Himmelsrichtungen. Dort gab es Arbeit, Essen und ein Dach über dem Kopf für jeden, der gewillt war beim Aufbau zu helfen. Ob Bauer, ob Handwerker, jede helfende Hand wurde gebraucht. Und es wurden immer neue Gebäude errichtet.

Bald hatte die Stadt eine eigene Schule und auch ein Krämerviertel.
Eines Tages, als Iberian sich bereits an den Gedanken gewöhnt hatte ewig Junggeselle zu bleiben, klopfte es an seiner Tür. Als er sie öffnete, starrte er in 2 Paar großer, ängstlicher Augen, die mit denen eines Rehs hätten konkurrieren können.
Sie wurden von einem der ortsansässigen Fischer begleitet, der sie auch vorstellte.
Caballera Verdistis, samt Tochter Aurora. Caballera war Witwe und bereits im betuchten Alter. Ihre Tochter hingegen jung und so schön, wie die Rosen, die um Iberians Haus gerade zu blühen begangen.
Sie baten um eine Bleibe. Nach dem Tod des geliebten Gatten und Vaters, waren die Frauen praktisch mittellos und auf die Mildtätigkeit von Verwandten und Freunden angewiesen gewesen. Damals haben Frauen nichts besessen und durften auch nichts erben. Hatte ein Mann keinen Sohn, so viel sein Vermögen an den nächsten männlichen Verwandet. Doch ein solches Leben wollten sie nicht. In wohlhabenden Kreisen aufgewachsen, waren sie zu stolz, um sich aushalten zu lassen. Sie hörten von Peridian und dass es dort Arbeit gab. Bestimmt auch etwas für Frauenhände. Beide konnten ausgezeichnet nähen, sticken und stricken. Jetzt brauchten sie nur eine vorübergehende Unterkunft.

Iberian bot den beiden Frauen nur allzu gerne seine Gästezimmer an. Allzu sehr war er fasziniert von Aurora. Es gab keinen Augenblick, in dem er sie nicht beobachtete. Ihre filigranen Finger bogen sich so zierlich und doch kraftvoll um die Stricknadeln. Ihr Haar glich dem Korn auf den Feldern. Golden schimmerte es in der Nachmittagssonne. Ihre Haut erinnerte verführerisch an das Weiß der Milch.
Aber auch Aurora fand Gefallen an ihrem so freundlichen Gastgeber. Er war wohlerzogen und zuvorkommend. Jeden Wunsch las er ihr von den Augen ab. Wenn er aus dem Haus ging, brachte er jedes Mal ein Geschenk für sie, und natürlich auch ihre Mutter, mit. Sie wusste nicht mehr, wann es angefangen hatte, aber allmählich verliebte sie sich in diesen so stillen, jungen Mann.

Iberian war keine Zwanzig mehr, doch konnte man ihn auch nicht als alt bezeichnen. Aber, da er bis jetzt nie an Frauen oder gar ans Heiraten gedacht hatte, konnte er keine Erfahrungen beim anderen Geschlecht sammeln. Es vergingen Wochen, bis er sich Annäherungsversuche an Aurora gestattete. Mit hochrotem Kopf lud er sie zu einem Essen ein. Natürlich durfte ihre Mutter als Anstandsdame nicht fehlen, aber es wurde dennoch oder vielleicht auch gerade deshalb ein gelungener Abend. Anders, als das junge Paar, war Caballera keineswegs zimperlich oder gar schüchtern. Sie hatte das Leben, die Ehe und ihre Pflichten bereits kennen gelernt und wusste, dass es ein schönes Leben war. Sie glaubte auch zu wissen, dass der stattliche Iberian ihre Tochter liebte und diese seine Gefühle erwiderte. So spielte sie ein wenig den Amor, um es den beiden zu erleichtern ihre Gefühle zu zeigen.

Bereits zwei Monate später bat Iberian Aurora um ein Gespräch unter vier Augen. Anschließend hatte er eine Unterredung mit ihrer überglücklichen Mutter.
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Montag, 26. Februar 2007

Prolog - Das Königreich

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Der Krieg näherte sich seinem Ende und das einst so wunderschöne Land Tirnanòg konnte die Spuren der Schlacht nicht verbergen.
Wo noch vor wenigen Wochen imposante Wälder standen, zeigte sich nun rußbedeckte, schwarze Erde, sobald die Feuer erloschen waren. Die zahlreichen Bäche und Flüsse, die sich normalerweise durch das gesamte Land schlängelten, waren verschmutzt oder ausgedorrt. Alle Felder waren vernichtet, die Wiesen zertrampelt, die Dörfer verlassen.

Allein das Zentrum des kleinen Landes, das Schloss Phoibe, stand noch gewohnt an seinem Platz.
Die vielen Türme und der große Garten ringsherum, boten einen herrlichen Anblick. Mit seinen hellen Außenmauern und zahlreichen Lichtquellen wurde es seinem Namen vollkommen gerecht.
Doch,... wie lange mochte dieses wundervolle Bauwerk den Angriffen noch stand halten?
Ohne Verteidigungssysteme oder gar Waffen, war es seinen Feinden hilflos ausgeliefert.
Niemand in Tirnanòg hätte je gedacht, dass solch ein Tag einst kommen würde... ein schwarzer Tag für das gesamte Königreich!

Vor drei Monaten wurde Tirnanòg angegriffen. Es war der Clan der Formoren, die auf der Suche nach Macht und Reichtum, alles zerstörten, das sich ihnen in den Weg stellte. Ihre Soldaten verbreiteten Angst und Schrecken... Die Masken, die sie beim Kampf trugen, glichen hässlichen Bestien. Sie waren aus Holz geschnitzt, mit Blut und Kohle bemalt. Einige Kämpfer trugen sogar Hörner.
Viele Menschen glaubten leibhaftige Teufel vor sich zu haben.
So war es kaum verwunderlich dass sie aus ihren Dörfern flohen um der „übernatürlichen“ Gefahr zu entkommen.

Nun standen sie versammelt um das Schloss und es herrschte eine beunruhigende Stille.
Die königlichen Ritter waren bereits bis auf wenige dezimiert worden. Unter ihnen befand sich auch der König selbst. Thelian le bien Royale war der jüngste König seit Anbeginn Tirnanògs.
Eine schlimme Krankheit hatte erst vor wenigen Wochen seinen Vater getötet.
Man könnte meinen Thelian wäre ein Mädchen gewesen. Von Kindesbeinen an war er sehr zierlich und, wie einige Leute behaupteten, ziemlich schwächlich. Seine einfühlsame Art und sein freundliches Wesen machten ihn jedoch bei all seinen Untertanen beliebt. Doch solch ein Mensch ist nicht für den Krieg geeignet.
Dem König zur Seite stand ein langjähriger Freund der Familie. Lord Ismail von Lanilor war bereits der Berater des verstorbenen Königs und nun half er dessen Sohn, wo er nur konnte.
Die Royales und die Lanilor waren schon ebenso lange befreundet, wie das Königreich Bestand hatte.

Als es kaum noch Hoffnung auf einen Sieg gab, befahl Lord Ismail den König fort zu bringen.
Es wäre nicht klug gewesen ihn weiter dieser Lebensgefahr auszusetzen.
Wenn das Reich eines Tages wieder aufgebaut werden sollte, brauchte es einen König!
Aber Lord Ismail trug nicht nur Sorge um das Wohl des Landes und dessen Regenten. Auch seine eigene Familie musste er schützen...
So ließ er die Kinderfrau seines Sohnes Iberian rufen. Sie sollte dieses Land verlassen und das Kind aufziehen, als wäre es ihr eigenes. Bereits ahnend, dass er seinen Sohn niemals wiedersehen würde, gab er der verängstigten Frau noch eine Bitte mit auf ihren langen Weg. Sie sollte ihn und ihr Heimatland in Erinnerung behalten und seinem Sohn alles erzählen, was vorgefallen war, sobald er alt genug wäre. Auch gab er ihr die Familienchronik mit, auf dessen Einband das Familienwappen prangte.. So machte sich die Kinderfrau auf den Weg.

Da Ismails Frau bereits bei der Geburt des Sohnes gestorben war, wusste er nun alle seine Lieben in Sicherheit. Noch bevor das Paar aus Kind und Amme an der Grenze des Reiches angelangt war, konnte die verängstigte Frau von weitem erkennen, wie ein Turm des Schlosses nach dem anderen umfiel, als wären sie aus Papier. Die Formoren beschossen das Bauwerk mit riesigen Steinschleudern. Es blieben nur Trümmer übrig.

Schweren Herzens, mit Tränen in den Augen und dem wimmernden Kind im Arm lief sie weiter Richtung Süden. Sie hoffte sehnlichst eines Tages hierher zurückkehren zu können, doch tief in ihrer Seele spürte sie, dass sie das Land ihrer Jugend nie wieder würde sehen können...
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